Architektur in Belgien – Ein Land, drei Stilwelten inkl. Route

Innenaufnahme eines kunstvollen Art Nouveau Treppenhauses in Brüssel mit geschwungenen Linien und dekorativen Details

Belgiens Architektur überrascht: Auf kleinem Raum finden sich hier drei völlig unterschiedliche Architekturerlebnisse – vom weltberühmten Jugendstil in Brüssel über markanten Brutalismus an der Küste bis hin zur Backsteinarchitektur in Flandern.

Wer Städte liebt, aber nicht nur Sehenswürdigkeiten sucht, sondern gestalterische Ideen und echte Kontraste, ist in Belgien genau richtig.

Dieser Beitrag zeigt dir, wo du belgische Architektur am besten erlebst. Mit Tipps für Stadtspaziergänge, Hintergründe zu belgischen Architekten und konkreten Orten, die du nicht verpassen solltest.

Jugendstil erleben – Wo belgische Architektur weltberühmt wurde

Ein wichtiger Teil der belgischen Architektur beginnt in Brüssel: mit dem Jugendstil und den ikonischen Entwürfen des Architekten Victor Horta. Seine Gebäude gelten heute als Meilensteine der europäischen Baugeschichte – allen voran das Hôtel Tassel, das Maison Cauchie und das Horta Museum.

Wer sich für Architektur in Belgien interessiert, erlebt hier geschwungene Linien, florale Details, Glasfenster, Eisenarbeiten und eine Handschrift, die belgische Architekten bis heute prägt.

Auch außerhalb von Brüssel hat der Jugendstil Spuren hinterlassen: In Antwerpen, Liège und sogar in Charleroi lohnt sich der Blick nach oben. Viele der schönsten Fassaden finden sich nicht auf Postkarten, sondern in Wohnstraßen und ehemaligen Geschäftsvierteln.

Reisetipp: In Brüssel lassen sich die wichtigsten Jugendstilbauten gut zu Fuß erkunden – besonders in den Vierteln Ixelles und Saint-Gilles. Wer tiefer eintauchen möchte, besucht das Horta Museum oder das CIVA Architekturzentrum.

Außenansicht des Musical Instrument Museum (MIM) in Brüssel, aufgenommen von der Straße, mit Jugendstil-Fassade des ehemaligen Old England Kaufhauses

Das Musical Instrument Museum in Brüssel – beeindruckende Jugendstil-Architektur des ehemaligen Old England Kaufhauses in der Coudenbergstraße

Betonmoderne & Brutalismus – Belgien abseits der Klischees

Wer glaubt, dass belgische Architektur nur aus Backstein und Jugendstil besteht, sollte einen zweiten Blick wagen: In Belgien hat auch der Brutalismus einen festen Platz – roh, kantig und oft überraschend poetisch.

Vor allem in den 1960er- und 70er-Jahren entstanden in Städten wie Gent, Brüssel und Ostende markante Bauten aus Sichtbeton. Architekten wie Juliaan Lampens, Léon Stynen oder Paul Neefs prägten das Bild ganzer Stadtteile – mit Hochschulgebäuden, Kirchen oder Verwaltungszentren.

Besonders bekannt:

  • Die Universitätsbibliothek von Lampens in Eke
  • Das KBC-Hochhaus in Antwerpen
  • Die Wohnsiedlungen rund um Brüssels Westflanke

Viele Reisende übersehen diese Werke oder begegnen ihnen mit Skepsis. Doch wer sich auf sie einlässt, entdeckt eine Architektur, die konsequent, mutig und tief verwurzelt in der belgischen Baugeschichte ist.

Tipp für Architekturfans: In Gent und Brüssel gibt es thematische Führungen zur modernen Architektur Belgiens. Besonders spannend: Ein Besuch im Stadtteil Laeken, wo sich Beton und Geschichte auf ungewöhnliche Weise begegnen.

KBC Tower, auch bekannt als Boeretoren, ragt imposant in den Himmel von Antwerpen mit moderner Glasfassade und urbanem Umfeld

Der KBC Tower in Antwerpen – ein Wahrzeichen der modernen Architektur in der belgischen Hafenstadt

Backstein & Romantik – Flämische Baukultur erleben

Ein prägendes Element der belgischen Architektur ist der Backstein. Vom mittelalterlichen Giebelhaus bis zur modernen Wohnarchitektur findet man ihn in ganz Flandern. Er ist geprägt von drei Farben: rot, grau, manchmal fast schwarz.

In Städten wie Brügge, Mechelen oder Damme zeigt sich, wie vielfältig Belgien Architektur versteht: Hier verbinden sich gotische Bauformen mit warmen Materialien, Klarheit mit Handwerk. Besonders in Klosteranlagen, Stadttoren oder Handelshäusern spielt der Backstein eine gestalterische Hauptrolle.

Aber auch viele zeitgenössische belgische Architekten arbeiten bewusst mit Backstein – als Antwort auf industrielle Standardisierung. Das Material steht für regionale Verwurzelung und zeitlose Eleganz.

Tipp für die Reise: Wer flämische Baukultur entdecken möchte, sollte sich Zeit für einen Stadtspaziergang in Brügge oder Mechelen nehmen – besonders lohnenswert: ein Besuch im Museum Hof van Busleyden, das alte und neue Architektur eindrucksvoll verbindet.

Fassade des Museums Hof van Busleyden in Mechelen mit historischer Architektur und gepflegtem Außenbereich

Museum Hof van Busleyden in Mechelen – ein kulturelles Highlight mit faszinierender Geschichte und Architektur „Museum Hof van Busleyden Mechelen 6-07-2018 11-52-38“ von Paul Hermans ist lizenziert unter CC BY 4.0.

Belgische Architekten, die man kennen sollte

Wer sich mit Architektur in Belgien beschäftigt, begegnet schnell einer beeindruckenden Namenliste. Viele belgische Architekten haben nicht nur das Stadtbild geprägt, sondern auch internationale Anerkennung gefunden – vom Jugendstil bis zur zeitgenössischen Avantgarde.

Klassiker & Wegbereiter

  • Victor Horta: Der berühmteste Vertreter des belgischen Jugendstils. Horta verband dekorative Leichtigkeit mit funktionalem Design. Seine Werke wie das Hôtel Tassel oder das Horta-Museum in Brüssel sind UNESCO-Weltkulturerbe und Inbegriff der „Art Nouveau“-Architektur in Belgien.
  • Henry van de Velde: Ein früher Modernist, der klare Linien bevorzugte und international arbeitete. Sein Einfluss reicht bis ins Bauhaus – auch durch seine Arbeiten in Weimar. In Belgien kann man u. a. das „Van de Velde Institut“ in Gent besuchen.

Moderne & Gegenwart

  • Juliaan Lampens: Er gilt als belgischer Brutalist: seine Bauten wirken wie Monolithe – aus Sichtbeton gegossen, reduziert, fast meditativ. Sehenswert: die Bibliothek von Eke und das Van Wassenhove House bei Gent.
  • Stéphane Beel: Bekannt für klare Linien, Glasflächen und subtile Kontraste zur Umgebung. Er hat u. a. das STAM-Museum in Gent umgestaltet und neue Räume für das Rubenshaus in Antwerpen entworfen.
  • Xaveer De Geyter: Sein Stil ist urban, oft experimentell. Eines seiner bekanntesten Werke ist die neue Stadtbibliothek in Gent (De Krook), die moderne Architektur mit öffentlichem Raum neu denkt.
  • Kersten Geers & David Van Severen (OFFICE KGDVS): Das Duo prägt die zeitgenössische Architektur in Belgien mit einem eigenständigen, fast grafischen Stil. Ihr Büro in Brüssel ist international aktiv, u. a. mit Projekten in Seoul, Basel und Mexiko-Stadt.

Diese Architekt:innen zeigen, wie vielfältig belgische Architektur ist – und dass sie sich nie auf einen Stil festlegt.

Tipp für Architekturinteressierte: Viele dieser Werke sind frei zugänglich oder öffentlich nutzbar. Ideal für eine individuelle Architekturroute – etwa durch das Universitätsviertel in Gent, das Brüsseler Jugendstil-Viertel Saint-Gilles oder das neue Kreativquartier Tour & Taxis.

Architekturroute Belgien: 3 Tage, 3 Städte, ikonische Baukunst

Tag 1 – Brüssel: Jugendstil trifft Stadtmoderne

  • Victor Horta Museum: Eines der wichtigsten Jugendstilgebäude weltweit. Das ehemalige Wohnhaus des Architekten gibt tiefe Einblicke in Hortas Stil und Philosophie.
  • Maison Cauchie: Faszinierende Fassade mit sgraffito-Verzierungen, ganz in der Nähe des Parc du Cinquantenaire.
  • Palais Stoclet (nur von außen): Ein seltener Vertreter des Wiener Secessionsstils in Belgien – mit Mosaiken von Gustav Klimt.
  • Tour & Taxis Gelände: Beispiel für die Umnutzung alter Industriearchitektur mit modernen Elementen, spannend für Liebhaber urbaner Entwicklung.

Abend-Tipp: Spaziergang durch das Viertel Ixelles – viele elegante Wohnbauten, die belgischen Jugendstil und französischen Einfluss vereinen.

Tag 2 – Gent: Brutalismus & Baukunst der Gegenwart

  • Universitätsbibliothek Boekentoren (Henry van de Velde): Ikonischer Bücherturm, auch architektonisch ein Highlight des Modernismus.
  • STAM – Stadsmuseum Gent (Stéphane Beel): Kombination aus historischer Abtei und moderner Architektur – exemplarisch für Beels Stil.
  • Kapelle van Kerselare (Juliaan Lampens) (etwas außerhalb): Eine brutalistische Pilgerstätte, die wie ein Betonmonolith im Grünen ruht.

Abend-Tipp: Architektur-Fotowalk durch die Altstadt – viele Details an Fassaden, zwischen Gotik und Moderne.

Tag 3 – Antwerpen oder Wallonie: Kontraste & Zukunftsblick

Option 1: Antwerpen

  • Museum aan de Stroom (MAS): Moderne Landmarke mit rotem Sandstein und Wellglas – eindrucksvolle Aussicht inklusive.
  • Havenhuis (Zaha Hadid): Schwebende Glasarchitektur auf historischem Sockel – eines der spektakulärsten Gebäude der Gegenwart.
  • Cogels-Osylei Viertel: Sammlung prachtvoller Villen in verschiedenen Stilrichtungen – Jugendstil, Neorenaissance, Art Déco.

Option 2: Wallonie (z. B. Lüttich & Umgebung)

  • Bahnhof Liège-Guillemins (Santiago Calatrava): Monumentale Bahnhofshalle mit fließender Formensprache.
  • La Louvière: Keramikzentrum Keramis (Pierre Hebbelinck): Museum und Produktionsstätte in beeindruckender Backsteinmoderne.
Blick vom Wasser auf die Rückseite eines alten Backsteinhauses in Brügge mit charakteristischer roter Backsteinfassade und charmanten Details

Brügge – historisches Backsteinhaus, aufgenommen vom Wasser aus, das den einzigartigen Charme der Stadt unterstreicht

Belgische Architektur neu entdecken

Belgien ist mehr als ein Geheimtipp für Architekturfreunde – es ist ein wahres Mosaik europäischer Baukunst. Zwischen verspieltem Jugendstil in Brüssel, brutalistischer Klarheit in Gent und ikonischer Gegenwartsarchitektur in Antwerpen oder Lüttich zeigt sich, wie facettenreich das Reiseland Belgien ist.

Wer sich für Architektur interessiert, findet hier keinen einheitlichen Stil, sondern ein spannendes Wechselspiel aus Epochen, Materialien und Ideen. Oft sind es gerade die stilleren Orte – Universitätsgebäude, Kapellen oder Wohnviertel –, die bleibende Eindrücke hinterlassen.

Unser Tipp: Lass dich treiben, schau genauer hin, und nimm dir Zeit. Denn belgische Architektur offenbart ihren Reiz nicht immer auf den ersten Blick – aber dafür umso nachhaltiger.